Magie des Echo

Magie des Echo

Von Zeus erhielt die Bergnymphe Echo, wie Ovid überliefert, den Befehl, seine Gattin Hera mit Geschichten zu unterhalten und abzulenken, damit ihm Zeit für seine amourösen Abenteuer blieb. Hera kam dahinter, strafte Echo mit dem Entzug der Sprache und liess sie bloss noch die letzten an Echo gerichteten Worte wiederholen. So vermochte Echo nicht, dem schönen Narziss ihre Liebe zu gestehen. Als der Angebetete auf der Hirschjagd von seinen Gefährten getrennt wurde, folgte ihm Echo durchs Unterholz, konnte jedoch kein Gespräch beginnen. Narziss rief (in der stark verkürzten, aber illustrativen Wikipedia-Version):


Ist jemand hier?
Hier, hier! antwortete Echo zur Verwunderung des Narziss, der niemanden sehen konnte. Komm!
Komm, komm!
Warum meidest du mich?
Meidest du mich, meidest du mich?
Lass uns hier zusammenkommen!
Hier zusammenkommen!, wiederholte Echo

Narziss verschmähte Echos Umarmung, die sich danach gedemütigt in einer Höhle versteckte, nichts mehr ass und verkümmerte, bis sie nur noch Stimme war. Ihre hageren Gebeine wurden zu den Felsen, die das Echo zurückwerfen. Und Narziss wurde bestraft, indem er sich hoffnungslos in sein Spiegelbild verliebte, das ihm aus einem Teich entgegenblickte. Nach anderer überlieferung soll Echo Pans Liebe nicht erwidert haben, der sie zu haschen versuchte, bis seine Leidenschaft schliesslich die Hirten so rasend machte, dass sie Echo zerrissen. Seither sind deren Glieder in alle Welt zerstreut.

Das Echo in Literatur und Musik

Es gibt auch ausserhalb der griechischen Mythologie viele Geschichten rund um das Echo, Geschichten alter Kulturen und Urreligionen, die das Phänomen und seine magische Wirkung beschreiben (vgl. Fritz Stege «Musik, Magie, Mystik», 1961). «Tochter der Stimme», Himmels-Stimme, eine Art göttliche Offenbarung, war die hebräische Bezeichnung des Echos. Das Echogedicht kannte man bereits in der Antike: Dabei stellen die einzelnen Zeilen Fragen, die ein Echoreim am Schluss meist überraschend und mit Witz beantwortet. Im 15. Jahrhundert wurde die Gedichtform wieder aufgenommen und blieb bis ins 18. Jahrhundert eine lyrische Spielform besonders für die Vertonung liturgischer Texte. Sie erreichte ihren Höhepunkt in Echoliedern und der Hirten- und Schäferdichtung im Barock, wo die Musik teils sogar selbst als Echo des Göttlichen oder der göttlichen Liebe gelten konnte. Das aus dem Naturlaut geborene Echo findet seinen musikalischen Ausdruck in unterschiedlichsten Formen: etwa in der Stufendynamik (dem Nebeneinander verschiedener Lautstärken wie piano, mezzoforte und forte), bei den Echo-Sonaten, dem Einbau von Echo-Registern in die Orgel (Echowerk in der Romantik) oder als Nachahmung bei der Einführung von Dämpfern bei Blasinstrumenten. In «La Harpe d’Ecole et la Musique cosmique» von Georges Kastner (1856) wurden laut Fritz Stege die seltsamsten Echos der Welt in Buchform gesammelt, darunter ein hundertfaches sibirisches Echo, Echos aus Guatemala und China und sogar ein Echo mit dem Namen «die Melodiehöhle» aus der Inselgruppe der Hebriden, das Mendelssohn zu einer Ouvertüre inspiriert haben soll. Der bekannte Schweizer Komponist und Volksliedforscher Alfred Leonz Gassmann (1876-1962) beobachtete, wie Kinder ein aus Dreiklangmotiven bestehendes Volkslied in der Nähe einer Felswand sangen. Ein Knabe kam auf die Idee, mit dem Echo mitzusingen und dabei später mit dem Liedthema einzusetzen. Jetzt wurde das Echo zweistimmig, dann dreistimmig – es entstand ein Kanon, ohne dass den Kindern dieser Begriff vertraut gewesen wäre.